Nach ihrer umjubelten „Lulu“ kehrt die renommierte Regisseurin Eva-Maria Höckmayr ans Staatstheater Darmstadt zurück – und wagt sich gemeinsam mit Generalmusikdirektor Daniel Cohen an einen Meilenstein der Opernliteratur: Richard Wagners sinnlich-soghaftes Ausnahmewerk „Tristan und Isolde“. Die Regisseurin
im Gespräch mit Dramaturgin Frederike Prick-Hoffmann.
Frederike Prick-Hoffmann
Tristan und Isolde lieben sich, aber dürfen nicht zusammen sein. Spätestens seit der Einnahme des Liebestranks im ersten Akt, den beide für einen Todestrank halten, ist ihre unstillbare Sehnsucht nacheinander
nicht mehr aufzuhalten und weckt in beiden eine gemeinsame Todessehnsucht. Was ist für dich das zentrale Thema dieser „Handlung in drei Aufzügen“?
Eva-Maria Höckmayr
Für mich ist Schmerz in sehr vielen Facetten das große Motiv der Oper. Die Musik ist durchzogen von Schmerz. Es gibt kaum leichte oder heitere Zwischenmomente, und wenn doch, bilden sie lediglich einen kurzen Kontrast, um uns gleich danach wieder in die Dunkelheit zu ziehen, wie die Weise des Hirten, die das Englischhorn am Anfang vom dritten Aufzug spielt. Zum Thema der Todessehnsucht glaube ich, dass ein Unterschied zwischen den beiden Protagonisten besteht. Isolde träumt von einem verbindenden, gemeinsamen Sterben, und Tristan will tatsächlich nicht mehr sein. Er strebt nach einer lustvollen, bejahenden Selbstauslöschung, einem Nichts-Sein, besonders nach der Nahtoderfahrung, die er zwischen zweitem und drittem Aufzug macht. Letzteres kommt mir selbst heute fast wie ein gesellschaftliches Tabuthema, eine systemsprengende Idee vor: Die enthusiastische Auslöschung der eigenen Identität als Utopie. Auch wenn man nicht religiös ist, hat der Gedanke etwas Skandalöses.
Frederike Prick-Hoffmann
Bereits in der Vorgeschichte kommt es, wie wir im ersten Aufzug erfahren, zur ersten und eigentlich zentralen Begegnung zwischen Tristan und Isolde. Tristan war im Kampf gegen Isoldes Verlobten Morold, den er getötet hat, schwer verwundet worden und hat Isolde aufgesucht, die für ihre Heilkünste bekannt ist. Isolde erkennt in ihm Morolds Mörder und hebt das Schwert bereits zur Rache gegen den Schwerverwundeten, als Tristans Blick sie trifft. Sie lässt das Schwert sinken und heilt Tristan. Was steckt hinter diesem rätselhaften Moment der Begegnung?
Eva-Maria Höckmayr
Dieser Blick ist extrem aufgeladen, und zwar genau durch die Anwesenheit des Schwertes. Ein Moment des Sich-Erkennens in ebenjenem Moment, wo ein Akt der Tötung zwischen beiden zwischen beiden im Raum
steht. Ich glaube, das Stück hinterfragt die Bedingungen des Liebens auf eine sehr vielschichtige und dialektische Art und Weise. Deshalb kann man auch so viel darüber diskutieren: Das Stück gibt keine eindeutige These vor. Man ist die ganze Zeit am Erkunden und Ertasten, genau wie die Figuren selbst. Vielleicht ist es auch das, was die großen einschneidenden Begegnungen im Leben ausmacht: Sie stoßen trotz aller Versuche des Erklärens an eine Grenze des Sagbaren, des Vorstellbaren.
Frederike Prick-Hoffmann
„Tristan und Isolde“ hat eine reine Spieldauer von fast vier Stunden. Wie hast du dich diesem Mammutwerk
angenähert?
Eva-Maria Höckmayr
Das Stück ist nicht nur musikalisch, sondern auch philosophisch sehr stark aufgeladen. Es ist ein sehr
informationsdichtes Werk. Deshalb habe ich mich zunächst mal sehr genau mit dem Text beschäftigt, der
eine wirkliche Schatzgrube ist und unheimlich viel Information über die komplexen Figurenverhältnisse der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft enthält. Und mir ist noch kein Stück begegnet, das sich während der intensiven Vorbereitung so stark verändert hat. Wie bodenlos Tristans innerer Abgrund wirklich ist, hat mich schockiert. Schopenhauer, den Wagner in der Vorbereitung auch gelesen hatte, beschreibt die Dimension des Nichts-Sein unheimlich eindrucksvoll.
Frederike Prick-Hoffmann
Richard Wagner schreibt 1854 während der Konzeptionsphase seiner Oper an Franz Liszt: „Da ich nun aber
im Leben nie das eigentliche Glück der Liebe genossen habe, will ich diesem schönsten aller Träume noch ein
Denkmal setzen [...]“. Dennoch hat sich im Entstehungsprozess, der anfangs zumindest stark von seiner
Schwärmerei für Mathilde Wesendonck inspiriert war, etwas verschoben. Die Liebe, anfangs noch gleichgesetzt
mit Erfüllung, wird zunehmend gleichgesetzt mit Qual. Würdest du die große Sehnsucht der beiden – Sehnsucht nacheinander, Sehnsucht nach der ultimativen Vereinigung im gemeinsamen Liebestod, Sehnsucht
nach dem Nicht-Sein – auch als Qual beschreiben?
Eva-Maria Höckmayr
Ja, finde ich schon. Die Sehnsucht ist eigentlich zu keinem Zeitpunkt ein angenehmer Zustand. Sie ist
ein permanentes Streben und Ziehen in alle möglichen Richtungen, weiter, zurück, immer weg vom Jetzt. Der Moment des Sehnens selbst ist nicht auszuhalten, ein schmerzhafter Zustand. Oft liegt der Fokus so auf der „tragischen, verhinderten Liebe“, dass man die aberwitzige Abstrusität der Verstrickungen vergisst. Wenn man sich beispielsweise nochmal den Grundkonflikt im ersten Aufzug anschaut: Isolde verliebt sich in den Mann, der ihren eigenen Verlobten getötet hat und den sie geheilt hat, obwohl sie ihn hätte töten können. Nachdem sie mit gezücktem Schwert über ihm stand und ihn im letzten Moment doch nicht ermordet, sondern sich in ihn verliebt hat, begegnen sie sich auf dem Schiff wie arglose Bekannte wieder und keiner spricht darüber.
Frederike Prick-Hoffmann
Und genau diese aberwitzige Potenz der Komplikationen, die sich im Text und in der Musik verbergen, prägt
ja auch den Entstehungsprozess der Oper...
Eva-Maria Höckmayr
Dazu gibt es eine Anekdote, die das sehr gut verdeutlicht: Kurz vor Beginn der Kompositionsphase liest
Richard Wagner im September 1857 einem erlesenen Publikum aus seiner „Tristan“-Dichtung vor – und zwar seiner Ehefrau Minna, seiner Muse und Angebeteten Mathilde Wesendonck, seiner späteren Affäre und zweiten Ehefrau Cosima von Bülow sowie deren Mann Hans von Bülow, der acht Jahre später die Uraufführung
dirigieren sollte. Ich stelle mir vor, wie das Potenzial der Verstrickungen hier in der Luft gelegen haben muss, genauso wie es sich im Text findet.
Frederike Prick-Hoffmann
Warum würdest du den Opernbesuch unbedingt empfehlen?
Eva-Maria Höckmayr
Vor vielen Jahren sagte mir einmal eine Dramaturgin, was für eine Frechheit das eigentlich sei, ein Publikum
mit Musik auf diese unwiderstehliche, verführerische Art in Bann zu ziehen und emotional so zu manipulieren. „Tristan und Isolde“ kann ein hochsinnliches und emotionales Erlebnis sein, eine wirkliche Grenzerfahrung der Verführung, wenn man sich darauf einlässt. Man taucht in die Seelenwelt von zwei sehr extremen Figuren ein und kann eine Vielzahl von unheimlich intensiven Gefühlszuständen erleben. Das Stück ist ein Trip.
Frederike Prick-Hoffmann
Du inszenierst bereits zum fünften Mal [nach „Lulu“, „Die Sache Makropulos“, „Tosca“ und „Freischütz“] am Staatstheater Darmstadt. Worauf freust du dich, wenn zu zurück nach Darmstadt kommst?
Eva-Maria Höckmayr
Ich freue mich jedes Mal auf die gigantische Bühne am Staatstheater. Die werden wir auch dieses Mal in ihrer
ganzen spektakulären Tiefe nutzen. Und wenn ich mal nicht im Theater bin und probe, bin ich jedes Mal begeistert von der tollen asiatischen Küche in der Innenstadt!
Tristan und Isolde
Oper von Richard Wagner / ab 14 Jahren
MUSIKALISCHE LEITUNG Daniel Cohen
REGIE Eva-Maria Höckmayr
BÜHNE Fabian Liszt
KOSTÜM Julia Rösler
DRAMATURGIE Mark Schachtsiek, Frederike Prick-
Hoffmann
EINSTUDIERUNG CHOR Alice Meregaglia
Premiere am 02. Februar 2025 / 16:00 Uhr / Großes Haus